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Parteien in der Legitimations-Bredouille

Worum es geht: In einem Gastbeitrag für Cicero beschäftigt sich der Bonner Rechtsanwalt und Buchautor Ortlieb Fliedner mit der Frage, ob per Los ausgewählte Bürgerräte die parlamentarische Demokratie stärken können – und verwirft die Idee.
Das Zitat: „Demokratie kann nur funktionieren, wenn viele Menschen sich engagieren und bereit sind, am politischen Willensbildungsprozess teilzunehmen und auch Mandate zu übernehmen. Wenn aber Mustermann und Musterfrau bereits nach ein paar Diskussionsrunden für alle konsensfähige Lösungen finden können, werden demokratisches Engagement, Parteien und Wahlkämpfe mit unterschiedlichen Programmen überflüssig. Der Grundgedanke der Bürgerräte, einfache Bürger würden gute Lösungen finden, zu denen die immer abgehobeneren Politiker nicht mehr in der Lage sind, hat daher eine durchaus demokratiegefährdende Substanz. Er stärkt nicht die Demokratie, sondern schwächt sie.“
Gedanken dazu: Über Politiker wird gerne und ausgiebig geschimpft – besonders über jene, die eine andere Meinung haben als ihre Kritiker. Das täuscht schnell über die Tatsache hinweg, dass Politiker trotz aller Mängel und Schwächen einer Elite angehören und nicht so leicht ersetzbar sind, wie das mancher/manche gerne hätte. Was übrigens nicht die Möglichkeit ausschließt, dass in bestimmten Situationen ein gesamtes System mitsamt seiner Eliten desorientiert ist, wie die Geschichte zeigt. Wer es nicht glaubt, dass nicht jeder und jede für eine Politikerkarriere geeignet ist, kann gerne mal versuchen, sich mit Reden und Netzwerken in der Politik nach oben zu arbeiten oder eine Partei zu gründen. Ohne Politiker wird es daher nicht gehen. Eher als Politiker könnten aber in Zukunft Parteien in die Legitimations-Bredouille geraten. Ihre Rolle bei der politischen Meinungs- und Willensbildung wird durch die Möglichkeiten digitaler Technologien in Zukunft an Gewicht verlieren – während gleichzeitig die individuellen Profile von Politikern an Gewicht gewinnen. Man könnte diese dann auch als Bürgerräte bezeichnen, die dann aber besser nicht durch Los bestimmt, sondern auf Basis ihrer individuellen politischen Positionierung in die Parlamente gewählt werden. Ihr politisches Profil wird dann die Zugehörigkeit zu einer Partei in heutiger Form in den Hintergrund drängen. Denn diese individuellen Profile werden den Wählerwillen viel feiner abbilden können als die Parteiprogramme heute – der Wahl-O-Mat zeigt, dass die Schnittmenge eigener politischer Vorstellungen mit denen der in Frage kommenden Parteien allzu häufig recht gering sind. (Vielleicht mit ein Grund für die hohe Zahl von Nichtwählern, die häufig bei Wahlen die größte Partei bilden.) Das geht durch neue, technologiegestützte Repräsentationsformen besser und feiner.

Zum Beitrag: Alle Macht den Räten?

Veröffentlicht in Politik

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