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Dichter beim Zubereiten von Kugelfisch

Matthias Politycki? Den Namen schon oft gehört, noch nie etwas von ihm gelesen. Aber mein Faible für widerborstige Literaten bewog mich dazu, mal in sein neuestes Werk mit dem nach Abrechnung klingenden Titel hineinzublättern. Und einer der ersten Sätze hat mich dann gleich für den Autor eingenommen: „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen so gründlich zu betreiben, bis alle schlechte Laune haben.“ Das fand ich lustig, und ich konnte mich da selbst sofort wiedererkennen; so betreibe ich beispielsweise die Mülltrennung durchaus mit einer gewissen Leidenschaft, die Familienkreis und Nachbarschaft nicht unbedingt teilen. Politycki hat diesen Satz aber auf eine andere Thematik gemünzt: Es geht ihm um das Gendern, allgemeiner um Sprachgebote und -verbote. Für den Autor ein Grund, nach Österreich auszuwandern. Zwar dürfte es im deutschen Sprachraum kein Entkommen geben. Aber Politycki meint, die Österreicher seien grundsätzlich etwas lockerer drauf als die Deutschen, so auch in diesem Punkt.

Politycki, der sich übrigens selbst als klassischen Linken bezeichnet, hatte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Sommer 2021 ein großes Interview zu dem Thema gegeben, das auf so viel Resonanz stieß, dass er ein Buch daraus machte. Und es trägt von der ersten bis zur letzten Seite. Es geht in dem Buch „nur“ um Sprache, aber Sprache weist immer auch über sich selbst hinaus. So sagt der Autor: „Nichts Geringeres wird gerade in der westlichen Welt verhandelt als unser Begriff von Freiheit.“ Er garniert diese Diagnose mit Zitaten, darunter Ausbrüchen linken Hasses, die an Nazisprache erinnern. Er spricht über Schriftsteller, Journalisten, Wissenschaftler, die nun alle lernen müssen, vorsichtig zu formulieren.

Er ledert gegen eine kleine, sich als Elite verstehende Gruppe, die angetreten sei, „uns im Zeichen der Wokeness das Sprechen, das Denken und den Umgang miteinander neu beizubringen und, um ihr moralisierendes Narrativ durchzusetzen, auch unsre Vergangenheit neu zu bewerten beziehungsweise gleich zu übermalen, vom Sockel zu stürzen oder umzuformulieren.“ Eine Szene, die sich gegenseitig Preise zuschanzt, deren Mitglieder sich selbstreferentiell gegenseitig bestätigen und stabilisieren: „Es gibt derzeit etwa 200 Professuren für Gender Studies in Deutschland, dazu Tausende von Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsbeauftragten an Institutionen, in der Verwaltung und den Betrieben. Sie alle können der Gesellschaft, von der sie finanziert werden, ihre Daseinsberechtigung am besten dadurch demonstrieren, daß sie fündig werden.“

Es gehe nur vordergründig um Wörter, „de facto jedoch um die Überwindung der herrschenden Gesellschaftsordnung: Der Vorstoß, die Begriffe ‚Mutter‘ und ‚Vater‘ abzuschaffen und durch ‚Elternteil‘ zu ersetzen, um gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern nicht zu diskriminieren, zielt auf die Auflösung des traditionellen Familienbildes.“ Hinter der „dekretierten ‚Unbelastetheit'“ von politisch korrekten Bezeichnungen verstecke sich eine ganze Weltanschauung, „die dem Text damit eingeschrieben würde.“ Politycki warnt:

„Seit eh und je beginnt die Umwertung der Werte mit einer Umbegreifung der Begriffe. Auf diese Weise gehen nicht nur Wörter verloren, sondern auch die damit bezeichneten Phänomene und am Ende, sofern die Entwicklung in der gegenwärtigen Rasanz fortschreitet, eine ganze Welt. Unsre Welt.“

Das dürfte in der Tat das beabsichtigte Ziel sein, hält doch die Hälfte der Menschen im Westen die heutige Welt für so schlecht, dass sie komplett und subito umgebaut werden muss. Wenn die andere Hälfte das nicht versteht, ist sie selbst schuld, dass irgendwann nur noch Zwangsbeglückung hilft.

Kurzer Exkurs zur Sprache: Schallwellen, die sich durch die Luft fortbewegen, vergängliche Zeichen, festgehalten in Speichern, auf Papier oder Monitoren. Harmlos, tut niemandem weh. Aber ihre Kraft versteckt sich, ähnlich wie die unsichtbare atomare Energie in der Materie. Eine Assoziation am Rande, die sich beim Lesen dieser Tage aufdrängt: In der Ukraine geht es auch um Sprache – Ukrainer wie die Russen in den abtrünnigen Gebieten versuchen, die Sprache der anderen Nationalität mit Gesetzen zurückzudrängen. Oft geht ethnisch-kulturell begründeten Bürgerkriegen Streit um den Status der Sprachen von Minderheiten voraus. Der Beton der Macht missbraucht gerne die Sprache zur Tarnung.

Zurück zum Thema. Politycki führt aus, welche Probleme ihm das Gendern oder Nichtgendern beim Schreiben bereitet: Denn als Autor verschwindet man heute, ob man will oder nicht, in einer der beiden Schubladen. Oder die wachsende Zahl verbotener Wörter wie das „N-Wort“, die im wirklichen Leben fallen; wie aber ohne sie Wirklichkeit beschreiben oder glaubwürdige Fiktion entwerfen?

Solcherart auf den Autor aufmerksam geworden, habe ich mir seinen jüngsten Roman „Das kann uns keiner nehmen“ besorgt. Er schildert darin eine Reise in Afrika und das Entstehen – und Ende – einer Freundschaft. Die Figuren sind fein gezeichnet, heikle Themen wie Rassismus oder Migration nicht ausgespart, sondern aus Sicht der weißen Touristen – die beiden Hauptfiguren dabei krass unterschiedlicher Meinung – wie auch aus Sicht der Afrikaner, mit denen sie unterwegs sind, dargestellt. Die Dialoge wirken authentisch, unverbogen, man sieht sich nahezu an den Schauplatz versetzt als Zeuge der geschilderten Szenen. Auf den ersten Seiten fällt auch das N-Wort, literarisch behutsam verpackt, die Distanzierung des Autors von der Figur, die es ausspricht, ist über jeden Zweifel erhaben. Geht doch. Andererseits ist der Szene auch abzulesen, dass sich Schriftsteller mehr und mehr wie Köche fühlen müssen, die einen Kugelfisch zubereiten.

Matthias Politycki
Mein Abschied von Deutschland
Wovon ich rede, wenn ich von Freiheit rede.
80 Seiten; erschienen im März 2022 bei Hoffmann und Campe

Das Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (hinter der Bezahlschranke):
Mein Abschied von Deutschland

Veröffentlicht in # 03-22 Debattenkultur Gender Rezension Sprache

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